Solidarisch Castoren und Justiz blockieren

Wir dokumentieren hier drei sehr lesenswerte Texte des Anti-Atom-Plenums Göttingen. Es handelt sich dabei zum einen um einen Prozess-Erfahrungsbericht einer betroffenen Person und zum anderen um eine grundsätzliche Erklärung, warum es sich lohnt Prozesse zu führen in denen es um niedrige Bußgelder geht. Außerdem zitieren wir noch einen Text, der erklärt, warum die Prozess in Potsdam manchmal fast den Charakter von Familientreffen haben… aber lest einfach selbst…

Solidarisch und erfolgreich (Castoren und Justiz) blockieren

Eine Menschenblockade in großem Stil ist nur finanziell tragbar, wenn möglichst wenig Bußgeld einkalkuliert werden muss. Die juristischen Konsequenzen und Kosten können aber niedrig gehalten werden, wenn folgendes beachtet wird:

Vernetzung und Koordination aller Betroffenen von juristischer Verfolgung, Sammeln von Geldern, um alle Folgekosten zu tragen, Kontaktieren der Roten Hilfe. Einheitliches taktisches juristisches Vorgehen in Absprache mit einem/r AnwältIn, keine Aussagen in schriftlicher Anhörung und vor Gericht machen, keine indirekten Schuldzugeständnisse durch vorschnelles Zahlen von Bußgeldern, Erschweren der Strafverfolgung durch Bürokratieaufwand, Einsprüche einlegen bis zum Herbeiführen von Gerichtsprozessen, Nerven durch politische Erklärungen (ohne konkrete Aussage zur Sache), kritische Prozessbeobachtung und kritische Öffentlichkeitsarbeit.

Je schwerer der Vorwurf zu beweisen ist, desto sinniger ist es, es auf einen Prozess ankommen zu lassen. Gerade wenn der Vorwurf beweisbar zu Unrecht erhoben wurde, ist es wirkungsvoll, zunächst nur unbegründeten Einspruch einzulegen und den Justizirrtum erst im Gerichtsprozess von zähneknirschenden RichterInnen aufklären zu lassen (auf Kosten der Staatskasse!). Kommt es wiederholt zu Freisprüchen oder Einstellungen aufgrund mangelnder Beweise, werden die RichterInnen danach gleichgeartete Verfahren vielleicht schon einstellen, ohne die Verhandlung überhaupt noch zu eröffnen. Und das kann dann auch Leute betreffen, die vielleicht sonst verurteilt worden wären.

Daher ist es wichtig, den Justizapparat mit geschlossenem gemeinsamen Vorgehen von möglicht vielen der Betroffenen so zu nerven und zu verunsichern, dass diese Verfahren, gleichartige Verfahren und alle zukünftigen Verfahren wegen Aussichtslosigkeit oder auch nur unzumutbarem Verwaltungsaufwand eingestellt, zurückgezogen oder gar nicht erst eingeleitet werden.

Umso mehr betroffene Personen schon ohne Prozess ein Bußgeld zahlen (und/oder ihre „Schuld“ einräumen), umso optimistischer sind die RichterInnen, dass auch andere Personen durch Gerichtsverfahren zu Aussagen gedrängt werden können oder doch ihren Einspruch zurückziehen durch Androhung hoher Gerichts- und Zeugenkosten. Besser als zu zahlen ist, den Gerichtstermin hinauszuschieben (wegen Klausur, Krankheit..) und Prozesswillige vorzulassen. (Ein Einspruch kann auch noch während der Verhandlung zurückgezogen werden). Es ist nicht zu empfehlen, zu beantragen, dass der Prozess in Abwesenheit deR AngeklagteN geführt werden soll, weil sie ja doch keine Aussage machen. Der Prozessverlauf sollte unbedingt kritisch mitverfolgt werden.

Diese Prozessführung wegen 24 Euro Euro pro Person mag stressig sein, aber spart insgesamt viel Geld. Alle zukünftigen von der Bundespolizei angeleierten Verfahren wegen Verstoß gegen die Eisenbahnbetriebsordnung landen in diesem armseligen Amtsgericht in Potsdam (größter Saal hat 18 Stühle). Die nur zwei zuständigen Richterinnen Ahle und Bülow dürfen es gerne als Zumutung ansehen, ständig mit sturköpfigen AtomkraftGegnerInnen um 25 Euro zu ringen und sollen solche Bußgeldverfahren zukünftig gar nicht mehr annehmen. Vielleicht hat dann die Bundespolizei auch eines Tages keinen Ehrgeiz mehr, bei Menschenblockaden Verfahren einzuleiten und überhaupt Personalien aufzunehmen.

Erfahrungsbericht vom Amtsgericht Potsdam

Bei den aktuell laufenden Prozessen wegen der Menschenblockade bei Altmorschen (Castor 2010) ist vieles deutlich geworden, was auch bei zukünftiger Prozessführung weiterhilft:

Zunächst war ca. 26 Leuten (aus Göttingen, Kassel und Süddeutschland), die in einen Polizeikessel geraten waren, ein Bußgeld von 100 Euro (wegen Aufenthalt im Gleisbereich u.a.)auferlegt worden. Nachdem die meisten dagegen Einspruch eingelegt hatten, drohte ihnen eine Vorladung vor das Amtsgericht Potsdam. Mit einer angebotenen Reduzierung auf nun 40 Euro als Köder sollte vom Gang vors Gericht abgehalten werden.. Manche ließen sich darauf ein, um sich die stressige Fahrt nach Potsdam zu ersparen, zumal die Richterinnen immer zwei Verhandlungstermine ansetzen wollten: einen Termin ohne Belastungszeugen, um abzuchecken, ob die Angeklagten nicht noch in letzter Sekunde einknicken und einen zweiten Termin mit einem Polizeikameramann als Zeugen (das bedeutet 2x Stress, 2x Gerichtskosten und Anfahrtkosten des Zeugen). Trotzdem sind die meisten Leute gewillt, die Prozesse durchzuziehen. Am 21. März 2012 kam es nun für zwei Angeklagte zum ersten Termin mit dem Belastungszeugen. Dieser war sich sicher, eine der beiden Personen durch seine grellgrüne Jacke und langen Haare auf einem Blockadevideo und später auf einem zweiten Video bei der Persolalienabgabe in einem Polizeikessel widererkannt zu haben, die zweite angeklagte Person sei aber nicht eine der 7 Personen auf dem Blockadevideo.. Somit gab es an diesem Verhandlungstag eine Verurteilung zu 40 Euro und einen glatten Freispruch. Darauf, dass der Verurteilte in einer politischen Stellungnahme auf ein grundsätzliches Recht auf Widerstand gegen die Atommülltransporte plädierte, wollte die Richterin erwartungsgemäß nicht eingehen, da sie „ohne Ansehung der politischen Überzeugung“ zu urteilen habe. Interessant ist aber ihr Kommentar zum Freispruch der anderen Person. Die Bundespolizei hätte nicht gut ermittelt und das Verfahren voreilig ans Gericht übergeben. Dies beträfe dann ja auch noch andere Personen.

Wahrhaftig hat das Amtsgericht Potsdam inzwischen alle weiteren schon anberaumten Termine vorläufig abgesagt und die Akten sämtlicher noch offener Verfahren zur Stellungnahme an die Bundespolizei zurückgeschickt. Schließlich wären maximal 6 Personen zu verurteilen, wenn sie denn zu identifizieren sind. Offensichtlich sind die beiden Richterinnen in Potsdam stinksauer. Sie wissen, dass alle noch Betroffenen sich nicht einschüchtern lassen, die Prozesse durchziehen wollen aber eisern schweigen werden und dass jedesmal ein hartnäckiger Anwalt anwesend sein wird. Der Verwaltungsaufwand steht in keinem Verhältnis zum läppischen Streitwert. Die Zermürbungstaktik ist also zunächst aufgegangen. Jetzt wird das Amtsgericht dafür sorgen, dass auch der Verwaltungsapparat der Bundespolizei auf Hochtouren läuft.

Potsdam – same procedure as every year

Es ist ein bischen wie ein Familientreffen. Wenn die Mütter Ahle und Von Bülow ihre Schützlinge aus nah und fern nach Potsdam einladen, bzw. vorladen, weil diese mal wieder was ausgefressen haben sollen (es ist immer der gleiche Vorwurf). Und die Kinderlein kommen murrend herbei (es sind auch fast immer die gleichen), lassen die übliche Moralpredigt über sich ergehen (dass Betreten von Gleisanlagen verboten ist), zeigen sich bockig, unbelehrbar und haben manchmal auch noch Widerworte.

Also ist es vielleicht doch eher anders herum: Die Kinder initiieren das Familientreffen, sie sind es, die die eigentliche Moralpredigt halten: Atommülltransporte blockieren bleibt legitim! Sie bremsen regelmäßig den Atomstaat für ein paar Minuten oder Stunden aus und geben dafür – wenn es sich nicht vermeiden lässt – der Bahnpolizei ihre Personalien ab. Dadurch zwingen sie den Atomstaat geradezu, sich mit ihnen auch noch juristisch zu beschäftigen in nervigen, zeitaufreibenden Prozeduren.
Das Amtsgericht Potsdam ist die letzte – und auch einzige – Instanz, wenn jemand gegen die Eisenbahnbetriebsordnung verstößt und kein Bußgeld zahlen will. Es geht meist um eine Forderung von 30 bis 50 Euro, die im Laufe des Verfahrens oft reduziert oder komplett zurückgezogen wird. Ein Betrag, der nicht mal einen Bruchteil der Verwaltungskosten decken kann, den die Verfolgung des Deliktes verursacht (vom Polizeieinsatz bei Verhaftung und
Ingewahrsamnahme über die Aktenbearbeitung bis zur Aufbietung des Hohen Gerichts).

Es ist aber auch nur ein Teil der Anreisekosten, denn die Angeklagten laden meist auch eine Menge FreundInnen ein und die Richterinnen (wenn es ihnen beliebt) noch ein paar BundespolizistInnen als ZeugInnen.

Von beiden Seiten also ein Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Nutzen steht – scheinbar. Hier setzt sich die Politik vom Tag X fort: Ein Staat, der seine Autorität wahren will, in dem er alles daran setzt, Atomtransporte von und nach Gronau Gorleben, Lubmin oder Grohnde zu zwingen – und eine Widerstandsbewegung, die jedes Jahr Monate damit verbringt, Pläne zu
schmieden, um die Transporte wirkungsvoll aufzuhalten. Der Aufwand am Tag X und vor Gericht hat den Sinn, die Gegenseite durch Beharrlichkeit zum Aufgeben zu zwingen.

Noch laden die beiden Richterinnen weiter hartnäckig nach Potsdam. Ein vorläufiger pragmatischer Vorschlag zur Güte könnte sein, die regelmäßigen Familientreffen gleich von Potsdam z.B. nach Göttingen oder Lüneburg zu verlegen. An der Castorstrecke können sich Frau Ahle und Frau von Bülow davon überzeugen, dass die Widerstandsfamilie sehr groß ist und einen langen Atem hat.

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