Nicht nur wir waren Ende April genervt wegen drei paralleler Prozesstermine, sondern wohl auch die Gerichte und Polizei. Denn wir hatten beschlossen, die Einladung anzunehmen und haben Menschen eingeladen, die Prozesse zu begleiten. Direkt hinter dem Amtsgericht Lingen im Park wurde gecampt, das Gericht dann prompt Tag und Nacht von der Polizei bewacht.
Morgens um 9 Uhr ging es parallel vorm Landgericht Osnabrück und in zwei Säalen des Amtsgerichts Lingens los. In Lingen zeigte sich, dass auch wenn Richter*innen sehr unterschiedlich auftreten, das im Ergebnis nicht unbedingt etwas an ihren Urteilen ändert. In einem Prozess griff der Richter autoritär durch und warf im Laufe des Tages etwa 20 Personen aus dem Verhandlungssaal, mehr als gleichzeitig überhaupt reingepasst hätten. Bei der Zeugen-Befragung der Polizisten wurde es jedoch spannend, einer erklärte auf die Frage nach der Identifizerung sinngemäß: „Also wissen Sie, den Herrn habe ich jetzt schon so oft gesehen, ich weiß nicht, ob der an dem konkreten Tag da war oder nicht.“ Der Angeklagte bohrte nach, wofür denn der Staatsschutz so zuständig sei und auf die Frage „Können Sie also bestätigen, dass Sie für die Staatssicherheit zuständig sind?“ reagierte der Staatsschutz-Polizist: „Ja“. Der Angeklagte las dann noch zahlreiche Beweisanträge vor, sodass sich der Prozess bis weit in den Nachmittag hinzog. Eine rausgeworfene Rollstuhlfahrerin wurde dann von den Jusitzwachtmeistern im Aufzug verloren – ein anderes Aktivisti fand sich schließlich auf dem Dach des Gerichts wieder, was auf einer Seite für Panik, auf der anderen für Erheiterung sorgte.
Im Parallelprozess war die Richterin deutlich entspannter, ließ sich auf Diskussionen mit dem Publikum ein und auch Menschen, die nebenan rausgeflogen waren, konnten hier weiter zusehen – auch wenn die Jusitzwachtmeisterei das gerne anders gehabt hätte. Eine entspanntere Hauptverhandlung heißt jedoch keinesfalls dass sich an dem Urteil etwas ändert – in beiden Prozessen wurden die Angeklagten jeweils zu 30 Tagessätzen wegen Hausfriedensbruch verurteilt.
Die Verhandlung in Osnabrück endete an diesem ersten Tag nicht mit einem Urteil. Das war aber auch nicht weiter verwunderlich, waren doch bereits im Vorfeld mehrerer Prozesstage angesetzt worden. Zu diesem Prozess gibt es einen separaten Bericht, weshalb wir an dieser Stelle auf weitere juristische Details verzichten. Festzuhalten bleibt nur noch, dass auch das Publikum in Osnabrück am Landgericht Spaß hatte beim Bingo spielen im Saal.
Das Bingo war eine von zahlreichen Aufgaben einer Aktionsralley, die rund um die Prozesstermine stattfand. In der Auswertung gab es witzige Details aus Gesprächen von Polizeizeugen auf dem Gerichtsflur ebenso zu hören wie auch Fotos von Aktionen am Zaun der Anlage. Besonders viel Spaß hatte eine Gruppe, der am Zaun der Brennelementefabrik ein Lochmonsterwurm begegnet war…
Leider nicht erfüllt wurde die Aufgabe, sich ein Autogramm von Maik dem Wachtmeister zu holen. Der ist die Hauptfigur eines kleinen Kinderbuches mit dem die Justiz in Niedersachsen für die Justizwachtmeisterei wirbt. Doch leider fanden wir weder weitere Exemplare der Broschüre noch den echten Maik.
Daneben gab es durch die Präsenz im Camp noch spannende Gespräche mit Passant*innen, Essen von der Küche für alle, eine Lesung mit Anti-Atom-Texten und ein Gespräch über die anstehenden Castor-Transporte und den Umgang mit den kommenden Prozessterminen, zu denen ihr hiermit auch herzlich eingeladen seid. Auch die Polizei ließ sich nicht lumpen, verhaftete eine Person wegen einem offenen Bußgeld von 20 €, war dann aber überfordert, als die Person das Geld bezahlen wollte und musste erst wen organsieren, wer das Geld annehmen durfte.
Sichtlich genervt, dass deren Einschüchterungsversuch keinerlei Effekt hatte, versuchten sie es am nächsten Tag mit einer Verfolgung von Menschen die das Camp verließen – und endeten an ihrer eigenen Polizeistation, wo die Aktiven erfolglos versuchten seit 2019 beschlagnahmte Materialien zurück zu bekommen. Sie wurden an die Staatsanwaltschaft verwiesen, wir sind gespannt, wie es damit und mit den Prozessen weiter geht. Insgesamt war es ein kleines aber feines Camp bei schönstem Wetter und mit tollen Menschen.