Amtsgericht Potsdam verurteilt Anti-Atom-Aktivist_innen zu Bußgeldern
Heute, am 14.2.2012, ging vor dem Amtsgericht Potsdam der Prozess gegen vier Robin Wood Aktivist_innen zu Ende, die im November 2008 kletternd auf einer Brücke über dem Elbe-Seitenkanal demonstrierten.Richterin Ahle verurteilte sie am heutigen zweiten Verhandlungstag zu Strafen zwischen 100 und 150 Euro. Gegen den Hauptvorwurf haben sich die Aktivist_innen erfolgreich zur Wehr gesetzt ; jetzt prüfen sie Rechtsmittel gegen das Urteil.
Trotz des nasskalten Schneewetters waren auch zum heutigen Prozesstag zahlreiche Unterstützer_innen gekommen, die mit Transparenten, Fahnen und einer kleinen Kletteraktion vor dem Gericht ihre Solidarität mit den Betroffenen ausdrückten.
Die Gerichtspräsidentin veranlasste daraufhin die Anwesenheit von zwei Beamten der Zivilpolizei, die vermeintlich zum Schutz der Ordnung im Gericht bewaffnet dem Prozess beiwohnten. Die Betroffenen thematisierten den Vorgang und beantragten die Herstellung eines schusswaffenfreien Gerichtssaales, um nicht ständig der Bedrohung und der Angst-Atmosphäre ausgesetzt zu sein. Mit bereits gewohnter Ignoranz und Überheblichkeit lehnte Richterin Ahle diesen Antrag ohne eine Begründung ab. Empörte Zuschauer_innen kündigten Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die bewaffneten Beamten im Publikum an.
Die am vergangenen Verhandlungstag begonnene Beweisaufnahme wurde fortgesetzt. Während am ersten Verhandlungstag nur ein Sachbearbeiter (PM Rölke, EG Castor) vernommen worden war, der die Vorkommnisse nur aus den Akten kannte, hatten die Betroffenen heute zumindest die Möglichkeit, einen direkten Tatzeugen (PHM Wingenfeld) zu befragen. Der Beamte konnte keine direkt den Bahnbetrieb beeinträchtigenden Handlungen beschreiben, weswegen der Hauptvorwurf, die Aktivist_innen hätten eine betriebsstörende Handlung vorgenommen, im Anschluss an die Vernehmung und die Inaugenscheinnahme des Videos verworfen wurde. Aufrecht erhalten blieb lediglich der Vorwurf des unbefugten Aufenthalts im Gleisbereich. Übereinstimmung herrschte darüber, dass es sich bei der Aktion der Betroffenen um eine Versammlung gehandelt hatte. Trotz Hinweis auf ein Fachgutachten und umfangreiche Erläuterungen durch die Verteidiger_innen zu diesem Thema, blieb eine Würdigung bei der Urteilsverkündung aus.
Mit zahlreichen Beweisanträgen wiesen die Betroffenen auf die Gefährlichkeit von Atomtransporten hin. Castortransporte passieren beispielsweise zahlreiche Tunnel, wo sich im Falle eines Unfalls mit Brandentwicklung eine gewaltige Hitze von bis zu 1350 Grad Celsius entwickeln kann. Vorgesehen sind die Behälter aber nur für einen halbstündigen Brand von 800 Grad Celsius.
Eine Betroffene ging dann auf die Problematik der Unvereinbarkeit von Grundrechten und Atomkraft ein. Dies machte sie an ihren eigenen Erfahrungen bei Castortransporten fest (Rechtswidrige Überwachung durch mobiles Einsatzkomando oder auch rechtswidrige Ingewahrsamnahmen). Sie schilderte weiter, dass die französische Polizei 2010 bei einer Ankettaktion gegen den Castortransport aus dem französischen La Hague ins niedersächsische Gorleben AktivistInnen schwer verletze (schwerste Brandverletzungen und durchtrennte Sehnen).
Drei der Betroffenen wurden zu 150 Euro Bußgeld verurteilt, die vierte zu 100 Euro. Die 50 Euro „Rabatt“ für Cécile begründete Richterin Ahle gönnerhaft mit dem viertägigen Gewahrsam, der gegen die Betroffene im Anschluss an die Aktion vollstreckt worden war – als ließen sich vier Tage Wegsperren auf diese Weise verrechnen.
Die Beweisanträge wurden fließbandmäßig abgelehnt, weil sie vermeintlich nichts mit der Sache zu tun hätten, obwohl formaljuristisch durchaus eine Würdigung von Begleitumständen und Motivation vorzunehmen ist (RiStBV 15).
In ihrer mündlichen Urteilsbegründung erläuterte Richterin Ahle, sie habe die Motivation der Betroffenen und die lange Verfahrensdauer strafmildernd berücksichtigt. Aus Sicht der Verteidigung ist das schlicht gelogen und widerspricht der herrschenden Rechtssprechung.
Ähnlich gelagerte Fälle von Kletteraktionen über der Bahnanlage führten in der Vergangenheit zu Freisprüchen. Außerdem werden Verstöße gegen die Einsenbahn- und Betriebsordnung in Form von Sitzblockaden auf den Schienen, die sogar Züge an der Weiterfahrt hindern, üblicherweise mit circa 25 Euro geahndet.
„ Mir ist nach wie vor komplett schleierhaft warum die Luft teurer sein soll als der Boden. Die einzig mögliche Erklärung dafür ist politische Willkür.“ kommentiert eine Zuschauerin.
Potsdam, den 14.2.2012 – die Aktivist_innen und ihre Laienverteidiger_innen
Weitere Informationen
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