Von Repression ist betroffen, wer sich wehrt!

Wir dokumentieren an dieser Stelle das letzte Wort der Angeklagten im Berufungsverfahren wegen der Kletteraktion auf dem Dach der Brennelementefabrik vor dem Landgericht Osnabrück am 17.11.2025:

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ [Zitat T. Adorno]

Zu Beginn des heutigen Tages wirkte das Gericht ja beinahe erfrischend adressierbar, wenn es auch aus seiner Rolle einer Repressionsbehörde und der inhärenten Macht und Unterwerfung nicht vollends austreten konnte. Im Verlauf des Verfahrens ergaben sich jedoch einige Momente umfangreicher Fragwürdigkeit, bei denen ich meine Augenbrauen kaum fragend genug hoch ziehen kann:

  • Begonnen hat der Prozess mit der Frage, ob ich über den Tatvorwurf reden möchte – oder über §34, den rechtfertigenden Notstand: Denn wenn ich über §34 reden möchte, kann ich ja gleich die vorgeworfene Tat zugeben! Aber nein, zu einem Geständnis wollte ich mich mit diesem miesen Trick nicht überreden lassen …

  • Nach den relevanten Befragungen der geladenen Zeug*innen der Cops bleibt vieles im nebulös-argen:
    • Von keinem der Bullen-Zeug*innen konnte ich als angeklagte Person sicher identifiziert werden. Gleichzeitig ist diese Identifikation nur Sachverständigen mit der entsprechenden Expertise vorbehalten und obliegt nicht dem orakelnden Ermessensspielraum von Gericht oder Polizei. Daher muss der grundlegende Tatvorwurf in frage gestellt werden
    • Keiner der Zeug*innen ist den Zaun vollständig abgegangen, der für den Tatvorwurf Hausfriedensbruch relevant ist – die meisten sind ihm noch nicht einmal nahe gekommen und konnten auch keine Person nennen, die die durchgängige Umfriedung zu dem Zeitpunkt der vorgeworfenen Aktion bestätigen konnte. Der Vorwurf des Hausfriedensbruchs ist allerdings nicht haltbar, wenn gar nicht klar ist, dass der hintere Bereich des Geländes nicht umfriedet und damit offen zugänglich ist.
    • Gleichzeitig bestanden Informationen – namentlich das Video der ANF-Überwachungskamera-Aufnahmen – welche nicht zur Verfügung gestellt wurden und kein Teil der Akte sind. Mit dieser Vorenthaltung von Beweismitteln können Theorien zum Vorhandensein eines Zauns aufgestellt werden, ohne diese zu belegen. Darauf eine Verurteilung aufzubauen, könnte auch als ignorante Willkür bezeichnet werden. Umgedreht entspringt es meiner Meinung nach dem „Reich der Phantasie“ (um Staatsanwalt Schulte zu zitieren), dass ein atom-industrieller Komplex, der im Kapitalismus bestens profitiert, sein Handeln an den Bedürfnissen der Gesellschaft ausrichten wird.
    • Es handelte sich offensichtlich um eine Anerkennung als Versammlung, wie Zeuge Veltmaat mehrfach betonte, ebenso erklärten alle Zeug*innen einhellig, dass die Stimmung der Aktion als „friedlich“ wahrgenommen wurde – es könnte also der Eindruck entstehen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit mit der hier vorliegenden Kriminalisierung wieder einmal beschnitten wurde….
    • Mit der scheinbaren Nähe zu politisch motivierter Kriminalität (PMK) – wie es der Aktenteil und die Befragung von Zeuge Christoph nahelegt – findet eine freche Vorverurteilung und Kriminalisierung legitimen Protests statt. Umfangreich wurde dargestellt, welche Auswirkungen Atomenergie hat – dass PKM-Ermittlungen statt finden und voreingenommen sind, negiert die Notwendigkeit des Protestes
    • Laut der Staatsanwaltschaft hat §34 nicht vorgelegen: die Gefahr der Atomenergie ist für Staatsanwalt Schulte „glasklar“ – aber eine „Angemessenheit“ ist nicht gegeben, die Beweisanträge sind dafür scheinbar nicht von ausreichender Bedeutung. Dann frage ich Staatsanwalt Schulte, was denn seiner Meinung nach angemessen wäre?!? Mit welchem Protest kann die weitere Nutzung der Atomenergie und der Gefahren, die sie birgt, begegnet werden?!? Und nein, politische Institutionen und Parteien sind keine Lösung! „Rechtlich-geordnete Verfahren“ funktionieren nur, so lang sich auch Politik und Wirtschaft daran orientieren – sobald diese sich allerdings nicht mehr an die so genannten „rechtlich-geordneten“ Grundsätzen halten, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit, dem entgegen zu treten. Die Frage bleibt: Welcher Protest hat tatsächlich eine zeitnahe und relevante Wirkung und erfährt keine Kriminalisierung???
    • Aktivist*innen als Zeug*innen zu laden, um dann mit scheinbarer Verwunderung festzustellen, dass eine Aussageverweigerung nicht möglich ist und – in der Logik der Richterin – mit einem Ordnungsgeld oder Beugehaft geahndet werden müsste, ist schon ein mieser Move. Aber dann noch Druck auf mich als angeklagte Person aufzubauen um eine Berufung zurückzunehmen (um Ordnungsgeld oder Beugehaft für ein Aktivisti zu vermeiden), könnte beinahe als hinterhältige Nötigung oder Erpressung bezeichnet werden. Eine Verhängung von Ordnungsgeld oder Beugehaft ist ein weiterer Baustein in der Kriminalisierung notwendigen Protests und auch hier könnte wieder angenommen werden, dass sie eine absolut unverhältnismäßige Doppelbestrafung darstellt!

Soviel zu dem heutigen Prozess. Schauen wir noch mal aufs Inhaltliche:

Der ehemalige technische Leiter des ukrainischen AKW Saporischschja, Oleg Dudar warnt im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau der Brennelementefabrik Lingen eindringlich vor einer Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom. Er beschreibt, wie sich Rosatom an der militärischen Eroberung und Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja beteiligt hat. Er schildert, wie der dem Kreml unterstellte Konzern bis heute eng mit Geheimdienst und Armee zusammenarbeitet. Demnach hat Rosatom unter anderem dabei mitgeholfen, das AKW zu verminen und AKW-Mitarbeiter zu foltern.
Dudar unterstreicht zudem, dass Rosatom elementare Sicherheitsregeln missachte, es drohe ein Unfall schlimmer als Fukushima. „Durch sein Handeln hat Rosatom Europa und die Welt an den Rand einer nuklearen Katastrophe gebracht“, so
Oleg Dudar. Er warnte: „Die russische Atombehörde wird nicht zögern, jegliche Anforderung an nukleare Sicherheit auch in Deutschland und in jedem anderen Land zu verletzen, wenn dies zur Verwirklichung seiner Ziele und der Ziele Russlands beiträgt.

Die in Lingen geplante Zusammenarbeit von Framatome ANF mit Rosatom sei eine direkte Unterstützung Russlands im Krieg gegen die Ukraine. „Mit den Gewinnen aus der in Lingen geplanten Kooperation stellt Russland Waffen, Panzer, Flugzeuge und Raketen her, mit denen jede Minute Ukrainer sterben. Das ist Blutgeld, und die Schuld für das vergossene Blut werden auch diejenigen Deutschen tragen, die die Zusammenarbeit mit Rosatom heute befürworten”, so Oleg Dudar. [Quelle: ausgestrahlt: https://www.ausgestrahlt.de/presse/uebersicht/brennelementefabrik-lingen-hochrangiger-akw-mitarb/ ]

Nun geht die Absurdität weiter, denn während wir hier verhandeln, lagern Im Zwischenlager Jülich rund 300.000 Brennelementkugeln aus dem Reaktor des Versuchsreaktors (AVR) Jülich – einem Zwischenlager, dass seit 2010, seit 15 jahren!, keine atomrechtliche Genehmigung für hoch radioaktive Abfälle mehr hat.

In 152 Castorbehälter sollen diese Kugeln aus Jülich per LKW ins Zwischenlager Ahaus transportiert werden – es wäre der größte Castortransport aller Zeiten. Und das nur weil Firmen – in diesem Fall die Jülicher Betreiberfirma – offensichtlich unfähig und überfordert sind, einen angemessenen und sicheren Betrieb zu gewährleisten. Denn das ist einfach nicht möglich, bei einer Technologie die per se unsicher ist.

Diese Konflikte werden nun in einem Gericht ausgetragen, obwohl sie eigentlich in der Gesellschaft und auf der Straße ausgetragen werden müssten. Der Prozess stellt so nur eine Sanktionierung von politischer Teilhabe dar.

Was wollen wir eigentlich – wir sollen kritische und aufgeklärte Menschen als Teile einer Gemeinschaft sein – aber wenn wir tatsächlich so handeln, spüren wir nur die stacheligen fesseln von Stellvertretungen, die uns wieder züchtigen und unser selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Handeln negieren und drangsalieren! Dieser Prozess ist eine große verwerfliche Absurdität!

Als Fazit sehen wir wieder einmal: von Repression ist betroffen, wer sich wehrt, und nicht, wer die eigentlichen immensen und absurden Hinterhältigkeiten verursacht!

Damit ende ich mit einem weiteren Zitat, den Worten Günther Anders’:

Jenen Staatsmännern, Industriellen, Wissenschaftlern und Publizisten, die zu denkfaul sind oder moralisch zu beschränkt, um sich die folgen ihres Tuns vorzustellen, und die unfähig bleiben zu begreifen, dass sie durch ihre pausenlose Erpressung und Terrorisierung der Menschheit den von ihnen selbstgerecht verdammten Namen ‚Terroristen‘ als die ersten verdienen.“

 

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