Am 6. September um 11 Uhr begann in Potsdam der Prozess wegen der Uranzugblockade in Buchholz in der Nordheide im April 2016 und dauerte bis ca.16 Uhr. Der Prozess wird am 12.9. 19.9. um 11 Uhr fortgesetzt.
+++ Update vom 19.9.++++
Der Prozess lief überraschender Weise heute entspannter als am ersten Prozesstag. Ein Zeuge wurde vernommen – und seine Aussage war im Gegenteil zu dem Vortrag von PD Lehne vergangene Woche auch glaubhaft – , Eingangskontrollen gab es nicht mehr.
Der Prozess ist nicht zu Ende. Er geht am Dienstag kommende Woche (26.9.) um 11 Uhr vorm AG Potsdam weiter.
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Insgesamt lässt sich die Veranstaltung als absurd (im wahrsten Sinne des Wortes) bezeichnen.Verhandelt wurde der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid über 5oo € wegen Verstoßes gegen die EBO (Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung). Der betroffenen Kletteraktivistin wird vorgeworfen, sich gemeinsam mit einer weiteren Person im Bahnhof Buchholz von einer Fußgängerbrücke abgeseilt zu haben, und so die Fahrt eines Transportes mit Uranerzkonzentrat aus Namibia vom HH Hafen nach Narbonne verzögert zu haben. (siehe Prozessankündigung)
Gemeint sind wir alle, vor Gericht sollen wir alleine stehen; so hatten sich die zuständigen Richterinnen im Vorfeld geweigert, die Verfahren der beiden Kletterinnen zusammen zu legen. Einer Verurteilung im schriftlichen Verfahren hatten diese widersprochen.
Der Prozess wurde solidarisch begleitet. Atomkraftgegner*innen entrollten Transparente vor Gericht und harrten 5 Stunden im Gerichtssaal aus. Presse erschien ebenfalls. Die Repression, die Umweltaktiven (politischen Menschen) entgegen schlägt, zeigte sich schon vor Erreichen des Verhandlungssaals.
Bereits beim Betreten des Gebäudes wurden Besucher*innen (und Betroffene) in für das Gericht unüblich gründlicher Weise kontrolliert [Sicherheitsschleuse, Metalldetektor, Abtasten]; um dann vor dem Saal mit einer speziellen Sicherheitsverfügung konfrontiert zu werden. Richterin Ahle hatte selbige natürlich zuvor nicht namhaft gemacht. Den Maßnahmen wurde widersprochen. Trotzdem mussten sich Menschen erneut abtasten und durchsuchen lassen (und Handys in Schließfächer tun), um der Verhandlung beiwohnen zu können. Auch mit Journalist*innen wurde in solcher Weise verfahren.
Richterin Ahle hat durch die Anordnung einer sog. Sicherheitsverfügung an diesem Tag bereits vor Beginn der Verhandlung (in einer Bußgeldangelegenheit!) dafür gesorgt, den Repressionsdruck durch extrem gründliche, zunächst doppelte, später wiederholte, Einlasskontrollen massiv zu erhöhen. Dieses Verfahren schreckt die Öffentlichkeit ab, da allen interessierten Menschen unterstellt wird sie wären „Störer*innen, bzw. es läge eine Gefahrenlage vor (Terrorismusprozesse). So versucht man die Anwesenheit von Öffentlichkeit durch Kriminalisierung zu verhindern.
Dieses Anliegen erscheint in der nachträglichen Betrachtung auch nachvollziehbar, da Richterin Ahle im dann folgenden Verfahren alle Rechte der Verteidigung, bzw. die Strafprozessordnung kaltlächelnd ignorierte und darüber hinaus wiederholt Drohungen, auch gegen das Publikum, abließ (strafrechtliche Verfolgung, Ordnungsgelder, Saalverweise…).
Natürlich führen derart willkürliche Eingangskontrollen zu Verzögerungen, und als schließlich begonnen werden konnte, vergaß die Richterin fast, nach im Saal anwesenden Zeugen zu fragen. Nachdem die beantragte Wahlverteidigerin genehmigt wurde, ging es mit einem Befangenheitsantrag gegen die vorsitzende Richterin Ahle los. Diese ist allerdings dafür bekannt, solche Anträge selbst zu bescheiden und auch sonst einige Rechtsfehler zu begehen. Einen ersten ausführlichst begründete und pünktlich gestellter Befangenheitsantrag beschied sie selbst per Ankreuzformular, wertete diesen als „Trotzreaktion“ und „Verzögerungsversuch“ und sah sich selbst verunglimpft (grobe Achtungsverletzung > Ordnungsgeld bis 1000,- €). Darüber hinaus wollte sie die Betroffene und ihre Verteidigerin dazu nötigen, von Beanstandungen, Befangenheits- und überhaupt kritischen Anträgen Abstand zu nehmen, indem sie mit strafrechtlicher Verfolgung drohte. In der ausführlich begründeten Kritik ihres Verhaltens wollte sie eine Beleidigung sehen. Es folgten weitere Beanstandungen und Rügen.
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Der ausführlich begründete Befangenheitsantrag > abgelehnt.
Der Antrag „nicht sachgerechte Behandlung des BefA“ > abgelehnt.
Die Beantragung der Verlegung des Gerichtsortes nach Tostedt oder Lüneburg > abgelehnt.
Anträge zur Akteneinsicht (für die heute erst zugelassene Verteidigerin) > abgelehnt.
Anträge auf Aufhebung der Sicherheitsverfügung > abgelehnt.
Auch schriftliche Widersprüche von Besucher*innen dazu gar nicht erst entgegen genommen.
Anträge auf Aushändigung schriftlicher Beschlüsse der Richterin > abgelehnt.
Ende auch eine Besetzungsrüge vor dem Hintergrund, dass nun seit 7 Jahren immer wieder Richterin Ahle für immer die gleichen Leute eingesetzt wird.
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Die Betroffene verlas eine Erklärung zu den Umständen der Aktion, dem notwendigen Kampf gegen Atomanlagen, staatlicher Repression und warum sie nicht aufgeben werde. Repression werde sie nicht davon überzeugen, dass Atomkraft gut sei: „Ja ich will Sand im Getriebe der Tötungsmaschinerie Atomkraft sein! Atomkraft ist kriminell, nicht der Widerstand!“
Nachdem nach gut 2 Stunden die Einlassung der Betroffenen erfolget und der erste Polizeizeuge vernommen werden sollte, beantragte die Verteidigung ein letztes mal Zeit, um sich mit dessen Aussage aus der Akte vertraut zu machen. Letztlich wurden ihr dafür sagenhafte 5 (!) Minuten gewährt.
Während dieser Verhandlungspause erdreistete sich eine Person aus dem Publikum die Richterin zu fragen, ob sie tatsächlich der Auffassung sei, dass sich eine verteidigende Person innerhalb eines Zeitraums von 5 Minuten auch nur halbwegs angemessen auf die anstehende Zeugenbefragung vorbereiten könne. Sie blaffte reflexartig ihr „keine Zwischenrufe!“ und als sie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Verhandlung momentan unterbrochen sei: „gut, dann nehme ich die Unterbrechung zurück!“ Aha!
Einer der beiden Zeugen wurde schließlich vernommen. Die Befragung des Zeugen offenbart einige Ungereimtheiten, Widersprüchlichkeiten und Lücken (auch in der Rechtskenntnis). Er verwies immer wieder auf einen Kollegen, der als Zeuge ohne Mitteilung an die Verteidigung aber leider wieder abgeladen wurde – jammerschade, bleiben doch spannende Fragen weiter offen.
Der Zeuge, Polizeidirektor Lehne aus Buchholz und Einsatzleiter am Tattag, wurde vernommen, er hatte brav seinen Bericht vor seiner Vernehmung gelesen hatte und konnte oder wollte darüber hinaus nicht allzu viel sagen. Er erzählte sehr lückenhaft.
Erstaunlicherweise machte die Richterin ihm nicht nur Vorhaltungen aus seinem Bericht, sondern las ihm diesen komplett vor, trotz Kritik der Verteidigung, noch bevor diese ihre Fragen stellen durfte. Er sagte, den Abstand der Kletterinnen zu Schiene oder Oberleitung hätte er nicht gemessen, seine Schätzungen waren widersprüchlich. Was vor seinem Eintreffen (eine Stunde nach Beginn) geschehen war, konnte er nicht sagen. Es wurde aber deutlich, dass die Polizei rechtswidrig in die Versammlung eingegriffen hatte. Obwohl es aus der Akte anders hervorgeht, betonte er, dass seine Dienstelle nicht mit Protesten gerechnet hatte.
So auch, als die Betroffene den Zeugen mit dem inzwischen ergangenen Urteil aus Tostedt konfrontiert welches feststellt, dass die Gewahrsamnahme der Betroffenen rechtswidrig war. Die Richterin lässt die Feststellung, dass er sich einen Dreck um die Rechtswidrigkeit seiner Anordnung kümmere, ins Protokoll nehmen. Explizite Kritik wird nicht zugelassen, die Betroffene soll eingeschüchtert werden, aber die Verteidigung rügt… zum x-ten mal.
Des weiteren wurde die Ingewahrsamnahme thematisiert, die PD Lehne im Anschluss an die Aktion angeordnet hatte, und die durch das Amtsgericht Tostedt für rechtswidrig erklärt wurde. Die Begründung habe er nur oberflächlich gelesen. Natürlich sei die Polizei mit dem Urteil nicht einverstanden. Er habe die Ingewahrsamnahme der Betroffenen angeordnet, weil sie eine exzellente Kletterin sei und würde ein nächstes mal genauso vorgehen. Die Richterin ließ daraufhin die Frage der Verteidigung, ob er sich einen Dreck um die Rechtswidrigkeit seiner Anordnung kümmere, ins Protokoll nehmen. Mit dem Ziel die Betroffene einzuschüchtern und dass sie sich keine kritischen Fragen mehr erlaubt. Die Verteidigung rügte… zum x-ten mal.
Eine Pause vor der Befragung des nächsten Zeugen konnte mit Verweis auf Dienstschluss nicht gewährt werden, sodass die Richterin den Prozess auf Dienstag den 19. September um 11 Uhr vertagte. Wieder müssen alle wegen einer lächerlichen Ordnungswidrigkeit nach Potsdam reisen, während die gefährlichen Atomtransporte weiter rollen.