Demonstrant soll für Missgeschick eines Polizisten zahlen, das er gar nicht verursacht hat
Weil sich ein Beamter beim hektischen Versuch der Personalien-Feststellung nach einer Aktion verletzte, soll ein Demonstrant jetzt 15.121,72 € Heilkosten zahlen. Dabei lag dieser am Boden und hat sich völlig passiv verhalten. AKW-Gegner sehen darin einen indirekten Angriff auf die Versammlungsfreiheit und fordern vom Land, die Klage zurück zu nehmen. Die Berufungsverhandlung findet am 9. November vor dem OLG Celle statt.
Unter landesweiten Protesten wurden im November 2012 Plutonium-MOX-Brennelemente aus dem britischen Sellafield via Nordenham ins Niedersächsische AKW Grohnde transportiert. Kurz bevor der Transport das AKW erreichte, versammelten sich spontan mehrere Demonstranten, um ihn zu blockieren, einer von ihnen kettete sich mit einem Rohr unter dem LKW fest. Er wurde von der Polizei vom LKW gelöst, schmerzhaft von der Straße entfernt und unsanft über eine Leitplanke geworfen. Der Betroffene rollte eine Böschung hinunter und blieb dort – die Hände noch immer in dem Rohr gefesselt – benommen liegen. Ohne ihm die Chance zu geben, sich selber aufzurichten, versuchte ein Beamter ihn hochzuzerren, um die Personalien festzustellen. Weil der Beamte sich hierbei eine „Ruptur des Discus des linken Handgelenkes“ zugezogen habe, verlangt das Land Niedersachsen von dem Betroffenen 15.121,72 € für Heilkosten u.a.
Das Landgericht Hannover gab dem Land am 2.2.2016 überraschend recht und verwies darauf, dass auch ein Flüchtender für die Folgen seiner Flucht aufkommen müsse.
Das sei doch ziemlich abwegig, meint Rechtsanwalt Nickel aus Bielefeld, der für den Betroffenen Berufung beim OLG Celle eingelegt hat: „Das allgemeine Einsatzrisiko eines Polizeibeamten darf nicht auf einzelne Teilnehmende einer Demonstration abgewälzt werden“. Sein Mandant sei nicht geflüchtet, sondern habe wehrlos am Boden gelegen. Abseits der Straße habe es auch keine Risikosituation oder besondere Eile gegeben, die Personalien festzustellen. Wenn der Beamte sich verletzt habe, dann doch nicht aufgrund der Protest-Versammlung, sondern weil er sich bei einer normalen dienstlichen Maßnahme übereilt und ungeschickt verhalten habe.
Die Regionalkonferenz AKW Grohnde abschalten fordert vom Land die Rücknahme der unsinnigen Schadensersatzforderung. Offensichtlich wage das Land nicht, Legitimität und Legalität der öffentlichen Aktionen in Frage zu stellen und versuche jetzt, einen einzelnen Teilnehmer privat abzustrafen.
„Das Verfahren greift das Versammlungsrecht zwar nicht direkt an, aber für jede/n einzelnen TeilnehmerIn jeder Versammlung wäre es schon bedrohlich, für ungeschicktes und abwegiges Verhalten von Beamten außerhalb der Versammlung zur Kasse gebeten werden zu können“, wertet Peter Dickel, 2012 einer der Anmelder der Proteste um Grohnde, das Vorgehen des Landes.
Berufungsverhandlung:
- Mi., 09.11.2016, 11.00 Uhr Oberlandesgericht Celle, Schloßpl. 2, 29221 Celle
Mehr Informationen (Homepage Grohnde-Kampagne)