Atomkraftgegnerin gewinnt Klagen gegen die JVA Hohenasperg und die Polizei

* juristisches Nachspiel für Schwimmaktionen gegen die Neckar-CASTORen und Gefängnisaufenthalt im JVA-Krankenhaus Hohenasperg

* erfolgreiche Klage vor dem Landgericht Stuttgart: rechtswidrige und unzureichende medizinische Versorgung in der JVA Hohenasperg. Anspruch auf Schmerztherapie – auch in Form von medizinischem Cannabis sowie auf barrierefreiem Haftraum.

* Kostenbescheid der Polizei für die Räumung von Demonstrant:innen aus dem Wasser beim Neckar-Castor von Oktober 2017 rechtswidrig, klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erfolgreich

Der CASTOR-Prozess gegen Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte vor dem Amtsgericht Heilbronn sorgte im April 2019 für Aufsehen. Richter am Amtsgericht Reißer duldete ihre scharfe Kritik an seine Verhandlungsführung nicht. Der Streit eskalierte, als die Aktivistin vom Richter verlangte, ihre nach § 238 II StPO eingebrachten Beanstandungen und ihren Widerspruch nach 273 StPO zu protokollieren, was dieser nicht tat. Er Lies die Aktivistin, die sich vor Gericht selbst verteidigte, weil der Richter auch die Genehmigung von Verteidigern nach § 138II StPO abgelehnt hatte, auch keinen Befangenheitsantrag formulieren. Sie äußerte, der Richter „verarsche“ sie damit, weil Sachen die nicht protokolliert werden, auf ihre Rechtmäßigkeit in der Folgeinstanz nicht überprüft werden können. Als „Wahrheit“ gilt vor dem OLG, das was protokolliert wurde.

Für diese verbale „Ungebühr“ verhängte der Richter, ein aktives Mitglied der CDU, 3-Tage Ordnungshaft gegen die Atomkraftgegnerin. Die Aktivistin wurde noch im Gerichtssaal Verhaftet und in Abwesenheit zu 100 Euro Bußgeld wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz beim Protest gegen den Neckar-CASTOR von November 2017 verurteilt.

Cécile Lecomte ist an schwerer rheumatoide Arthritis erkrankt und deshalb schwerbehindert, im Alltag benötigt sie einen Rollstuhl. Sie litt am Prozesstag nach der langen Anreise aus Lüneburg und die 2 Stunden Verhandlung unter starken Schmerzen und Erschöpfung. Die Prüfung ihrer Haftfähigkeit wurde ihr verweigert, sie wurde schließlich mit einem Krankenwagen in das JVA Krankenhaus Hohenasperg gebracht. Dort wurde sie nach eigenen Worten Misshandelt. Die unhaltbaren unwürdigen Zustände in der Frauenabteilung der JVA Hohenasperg schilderte sie in einem inzwischen veröffentlichten Tagebuch.

Das Stuttgarter Landgericht hat auf ihre Klage ihn die Rechtswidrigkeit mehrerer Vorgängen dort festgestellt. Aus dem Gerichtsbeschluss vom 30. Juni 2020 Az. 23 StVK 85/19 und 23 StVK 35/20 (der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig):

„Es wird festgestellt, dass die Unterbringung der Antragsstellerin im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg im Zeitraum vom 11. bis zum 14.04.2019

(a) im Hinblik auf die Unterbringung in einem Haftraum ohne barrierefreie Toilette

(b) im Hinblick auf die medizinische Behandlung ihrer chronischen rheumatoiden Arthritis und

(c) im Hinblick darauf, dass ihr am ersten Tag ihrer Inhaftierung kein Telefonat mit einer Vertrauensperson oder ihrem Anwalt ermöglicht wurde,

rechtswidrig war.“

Hierzu kommentiert Cécile Lecomte

„Die unzureichende medizinische Behandlung, insbesondere die Wegnahme und Vorentnahme meiner Schmerztherapie in Form von medizinischem Cannabis wurde für Rechtswidrig erklärt. Das Zufügen von Schmerzen durch den Entzug einer Schmerztherapie ist Misshandlung! Ich freue mich über die gewonnene Klage, aber ein Beschluss bleibt ein Blatt Papier, das macht die Schmerzen und die Traumatisierung nicht weg.“

Sie erklärt warum sie trotzdem geklagt hat:

„Inhaftierte Menschen haben keine Lobby. Das ist der Grund warum ich geklagt habe, um meinem Fall und somit der Problematik von Willkür hinter Gittern ein wenig Öffentlichkeit zu verschaffen. Seitens der Landesregierung Baden-Württemberg stellt man sich jedoch taub, wenn mein Fall oder allgemein die katastrophalen Zustände in der JVA Hohenasperg – und anderswo – angesprochen werden. Beschwerden bleiben unbeantwortet.“

Sei fährt fort:

„Gegen die Verhängung von Ordnungshaft und das Urteil in der Ordnungswidirgkeitssache konnte ich mich dagegen nicht erfolgreich wehren, weil Grundlage für die Überprüfung der Rechtsmäßigkeit das Protokoll der Hauptverhandlung ist. Und der Konflikt drehte sich eben um meine Kritik an die Protokollführung des Richters, der selbst, ohne Protokollkraft, das Protokoll führte.“

Gegen einen Gebührenbescheid in Höhe von 90 Euro für ihre Räumung aus dem Wasser beim vorigen Castortransport im Oktober 2017 konnte sich die Aktivistin dafür erfolgreich durchsetzen.

Sie hatte sich ebenfalls an einer Schwimmaktion gegen den Castortransport beteiligt. Das Verwaltungsgericht Stuttgart (Az. 1 K 7773/19) wies die Behörde auf die Rechtswidrigkeit der Forderung ein. Sie dürfe keine Gebühren für die Durchsetzung eines rechtswidrig erteilten Platzverweis fordern. Der Platzverweis / die Aufforderung das Wasser zu verlassen sei rechtswidrig, weil die Versammlung zuvor nicht aufgelöst worden sei. Die Behörde nahm ihren Bescheid daraufhin zurück. Die Polizei hat gegen das Versammlungsgesetz verstoßen. Für sie hat es, anders als für politische Aktivist:innen, keine Konsequenzen.

Quelle

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