Das Berliner Verwaltungsgericht hat den am 25. und 26. August 2016 verhandelten Klagen von Kletteraktivistin Cécile Lecomte gegen die Berliner Polizei statt gegeben.
Gegenstand der Gerichtsverfahren waren das Einschreiten der Polizei gegen die Umweltaktivistin bei der Energiewende-Demonstration am 30. November 2013 und anlässlich von Protestaktionen gegen die Tagung des Atomforums im Mai 2011. Das Gericht hielt das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstrantin für rechtswidrig, weil weder die Kletteraktion bei der Energiewende-Demonstration noch das Kreidemalen beim Protest gegen das Atomforum eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten.
Unter dem Motto „Sonne und Wind statt Fracking, Kohle und Atom – Energiewende retten“ hatten im November 2013 rund 16.000 Menschen demonstriert – darunter die Kletteraktivistin. Die Polizei versuchte, sie mit Gewalt daran zu hindern, ein Banner gegen Kohlekraft in luftiger Höhe auf einem ca. 30 Meter hohen Mast aufzuhängen. Die Kletteraktivistin wurde durch einen Polizisten am Gurt festgehalten und setzte sich erst nach einer längeren Auseinandersetzung und nachdem ein Polizist sich in der unübersichtlichen Menschenmenge mit dem eigenen Taschenmesser womit er die Kletterin abschneiden wollte, selbst verletzte, durch. Sie trug jedoch eine Verletzung davon – verursacht durch das lange Zerren an ihrem Gurt.
Die Polizei konnte vor Gericht keine konkrete Gefahr durch die Kletteraktion belegen und erklärte, es habe sich um einen „Gefahrenerforschungseingriff“ gehandelt, man habe die Aktivistin nicht am Protest hindern wollen, sondern lediglich die Gefahrensituation prüfen wollen. Das Gericht nahm dies der Beklagten nicht ab und kam zur Überzeugung, es sei der Polizei von vorneherein darum gegangen, die Kletteraktion ganz zu verhindern und zu beenden.
Im Verlauf der Verhandlung wurde bekannt, dass das Land Berlin die Unterstützung einer Klettereinheit der Bundespolizei bereits im Vorfeld der Großdemonstration eingefordert hatte – wohl um mögliche Kletteraktionen während der Demonstration zu unterbinden. Besagte Klettereinheit wurde jedoch nicht konsultiert, als die Beamten der Landespolizei sich auf die Kletterin stürzten und durch ihre äußerst unfachgerechte Handlung – die zur Verletzung der Kletterin führte – unter Beweis stellten, dass sie vom Klettern keine Ahnung hatten. Eine Räumung der Kletterin lehnte die Bundespolizei später ab, mit der Begründung, es handele bei den Demonstrant*innen am Mast um professionelle Kletter*innen, eine Räumung sei zudem in dieser Höhe nicht möglich.
„Das macht man nicht“, „Klettern ist nicht normal“. Diese Worte nahmen in der 3,5 stündigen mündlichen Verhandlung sowohl der Vertreter der beklagten Polizei als auch ein als Zeuge vernommene Polizeibeamter mehrfach in den Mund. Die Polizei schien der Auffassung zu sein, sie dürfe Grundrechte nach Gusto einschränken, wenn sie zum Schluss komme, eine Handlung sei nicht „normal“. Es gibt jedoch kein Gesetz, dass das Demonstrieren in luftiger Höhe untersagt und ein „Sich horizontal Bewegen“ vorschreibt. Klettern ist eine unübliche aber zulässige Form, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, wie das Lüneburger Verwaltungsgericht in einem früheren Urteil zur Klage von Cécile Lecomte gegen die dortige Polizei bereits feststellte ( Az. 5 A 87/13).
Cécile Lecomte zum Urteil: „Die Polizei zeigt immer wieder die Opfer ihrer rechtswidrigen Maßnahmen an, um ihre Gewalt zu untermauern. Wie hier vorliegend geschehen. Die Polizei hat Strafanzeige gegen mich erstattet, weil ich mein Recht in luftige Höhe zu demonstrieren verteidigte, dieses Strafverfahren läuft noch. Die jetzigen Urteile zeigen aber: Nicht ich, sondern die Polizei ist nicht in der Lage sich an die eigenen Gesetze zu halten und Grundrechte zu beachten. Es ist mit der weiteren Klage die am Freitag verhandelt wurde die dritte Klage in Folge die ich gegen die Berliner Polizei gewinne.“
Im zweiten mündlichen Verhandlungstermin am 26. August ging es um die Protestaktion gegen die Tagung des Atomforums im Jahre 2011. Die Polizei hatte der Aktivistin einen Platzverweis erteilt und sie anschließend festgenommen, weil sie zusammen mit weiteren Atomkraftgegner*innen ihren Protest mit Kreide auf dem Gehsteig in Sichtweite der Tagung des Atomforums zum Ausdruck brachte. Die Polizei wollte diesen Protest nicht dulden und argumentierte nun vor Gericht mit einer „abstrakten“ Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung: aus den 3 Protestler*innen hätte es ja schnell mehr werden können, die Situation hätte somit außer Kontrolle geraten können, so dass das präventive Eingreifen der Polizei gegen die Kreide-aktivist*innen gerechtfertigt gewesen sei. Diese ungenaue Gefahrenprognose in der Möglichkeitsform („hätte“, „könnte“, „wäre“) reichte dem Gericht nicht. Es müsse eine konkretere Gefahr vorliegen, um in die Grundrechte von Menschen einzugreifen.
„ Es ist mir wichtig, mich gegen die Willkür zu wehren und meine Grundrechte zu verteidigen“, erklärt Cécile Lecomte ihren Schritt zur Klage. „ Dies tue ich sowohl indem ich mich bei meinen Aktionen nicht einschüchtern lasse – auf die Gefahr einer Verletzung und oder Festnahme durch die Polizei hin -, als auch mit Klagen wie diese hier.“
Ob die Polizei gegen die Urteile Rechtsmittel einlegt, ist nicht bekannt.
Weitere Informationen:
- Infoseite zu den Prozessen gegen Atomkraftgegner*innen in Berlin
- Aktenzeichen der Verwaltungsgerichtsverfahren: VG 1 K 318.14 und VG 1 K 257.11
- Bildergalerie zur Kletteraktion aus dem Jahr 2013
- Berichte der Betroffenen
- Bericht zur ersten vor zwei Jahren bereits gewonnenen Klage gegen die Berliner Polizei, Az. VG 1.K 257.11
- Bericht zum in der PM erwähnten Urteil des Lüneburger Verwaltungsgerichts zu Kletterdemonstrationen (Az. 5 A 87/13 VG Lüneburg bestätigt durch OVG Niedersachsen 11 LA 233/14)